«Ökosysteme mit vielen Arten sind widerstandsfähiger»

15.08.2024 BFH und Biodiversität: Möglichst vielfältig soll sie sein, die Natur. Was aber heisst das genau und was bringt uns dies? Dominik Füglistaller, Agrarökologe an der BFH-HAFL, klärt auf.

Dominik Füglistaller, Dozent für Agrarökologie, inmitten eines Blühstreifens
Dominik Füglistaller, Dozent für Agrarökologie, inmitten eines Blühstreifens

Das Wichtigste in Kürze

  • Biodiversität umfasst die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme.
  • Ökosysteme mit hoher Biodiversität sind stabiler gegenüber Umwelteinflüssen.
  • Dieser Artikel ist Teil einer Serie der Berner Fachhochschule, die im Rahmen der Biodiversitätsinitiative ihre Expertise zum Thema beleuchtet.

Alle sprechen von Biodiversität, gerade jetzt vor der Abstimmung zur Biodiversitätinitiative. Doch was bedeutet sie genau? 

Dominik Füglistaller: Biodiversität lässt sich als Vielfalt des Lebens übersetzen. Genauer geht es um die Vielfalt der Gene, der Arten und der Ökosysteme. Diese Vielfalt beschränkt sich nicht auf alles Sichtbare, sondern geht auch unter dem Boden oder im Wasser weiter.

Die Vielfalt steht also im Fokus. Ab wann ist Biodiversität gross und gut?

Es ist schwierig, hier eine klare Grenze aufzuzeigen. Ein gesundes Mass an Biodiversität zeigt sich dann, wenn ein Ökosystem, also das Beziehungsgefüge von Flora und Fauna in einem bestimmten Gebiet, stabil und widerstandsfähig gegenüber Umwelteinflüssen bleibt. Das heisst: Wenn ein Umweltfaktor eine Weile gerade nicht in Balance ist, puffert ein gesundes Ökosystem eine solche Schwankung ab. Grundlage für diese Stabilität ist ein aktiver Austausch von Arten und Genen innerhalb des Ökosystems, sodass der Genpool möglichst vielfältig ist. Nur so können sich Arten jeweils der Umwelt anpassen, wenn sie sich nachhaltig verändert.

Die Biodiversität braucht die Landwirtschaft.

Dominik Füglistaller Dozent für Agrarökologie

Was bringt Biodiversität? Uns Menschen, der Umwelt?

Biodiversität hat viele positive Auswirkungen. Zum Beispiel sorgen Insekten dafür, dass Pflanzen bestäubt werden. Von der Bestäubung profitieren bis zu 75 Prozent der Kulturpflanzen, insbesondere Gemüse und Obst. Ausserdem fördert Biodiversität die natürliche Schädlingsbekämpfung, so fressen Marienkäfer etwa Blattläuse. Der Boden wird durch die ideale Zersetzung fruchtbarer. Ganz generell sind Ökosysteme mit vielen Arten widerstandsfähiger gegenüber Umweltveränderungen wie etwa Trockenheit.

Sie sind spezialisiert auf Agrarökologie. Wie beeinflusst die Landwirtschaft die Biodiversität? 

Die Biodiversität braucht die Landwirtschaft: Die nachhaltige Pflege von Kulturland schafft Lebensräume und fördert dadurch die Vielfalt. Würden diese Flächen nicht bewirtschaftet, könnten sie zu Wald werden – und damit würde ein wichtiges Ökosystem wegfallen. 

Wie steht es um die Biodiversität in der Schweiz? 

Schaut man aktuelle Statistiken an, steht es um die Biodiversität in der Schweiz nicht besonders gut. Das gilt auch für unsere Nachbarländer. Gemäss Bundesamt für Umwelt sind rund 41 Prozent der Tierarten, 30 Prozent der Pflanzenarten und 33 Prozent der Flechten und Pilze gefährdet. 

Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Durch gezielte Massnahmen konnten beispielsweise die Bestände von gewissen Brutvögeln und Feldhasen in den vergangenen Jahren stabilisiert werden. 

War sie früher grösser als heute?

Ja, die Biodiversität ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Zurückzuführen ist dies auf verschiedene Faktoren wie Zerstückelung von Lebensräumen, Überbauung und Zersiedelung oder zu intensive landwirtschaftliche Nutzung mit Überdüngung. Auch verstärkter Tourismus oder invasive Arten, welche die einheimische Spezies verdrängen, sowie Gewässerregulierungen und intensive Waldnutzung wirken sich negativ auf die Ökosysteme aus. Der Klimawandel mit veränderten Temperaturen und Wetterereignissen setzt Flora und Fauna ebenfalls zu.  

Welche Projekte haben Sie an der BFH-HAFL durchgeführt, was zeigen diese? 

Im Kanton Luzern beispielsweise haben wir mit zwei Bauernbetrieben zusammengearbeitet. Dabei wurde in einem Gemüsefeld alle 15.5 Meter ein Nützlingsstreifen von 1.5 Metern Breite angelegt. Die Bauern konnten dank dieser Massnahme rund 80 Prozent Insektizide einsparen.

In einem anderen Projekt nutzen wir das Pixel-Farming-System. Verschiedene Gemüsesorten werden in kleinen Parzellen von etwa 60 x 60 Zentimetern pixelartig angepflanzt, so dass sie sich gut ergänzen – mit Schatten, Wasser- und Nährstoffhaushalt und Schädlingsminderung. Die bisherigen Ertragsergebnisse dieser Mischkulturen sind äusserst vielversprechend.

 

Indem Lebensräume besser vernetzt werden, kann die Biodiversität profitieren.

Dominik Füglistaller Dozent für Agrarökologie

Was ist Ihrer Meinung nach für die Zukunft der Biodiversität wichtig?

Es ist entscheidend, dass das Zusammenspiel zwischen den drei Flächennutzungen – also Wald, Siedlungsraum und Landwirtschaft – verbessert und gefördert wird. Indem Lebensräume besser vernetzt werden, etwa durch Wildkorridore oder spezielle Tunnels für die Amphibienwanderung, kann die Biodiversität profitieren. Es findet wieder mehr genetischer Austausch statt und die Arten können sich auf natürliche Weise organisieren und unterstützen.

Was kann man tun, um die Biodiversität zu schützen?

Jede*r von uns kann etwas tun, ganz einfache Dinge. Zum Beispiel einheimische Blumen und Sträucher in seinen Garten oder Balkon pflanzen und Blühflächen für Insekten stehen lassen. Es ist auch hilfreich, kleine Naturnischen zu schaffen, die wir der Natur überlassen, ohne alles zu kontrollieren. Ein geordnetes Chaos zuzulassen, das natürlichen Prozessen Raum gibt, kann wertvoll für die Biodiversität sein. Ich entferne gelegentlich auch Neophyten, also eingeschleppte Pflanzen wie das einjährige Berufskraut, wenn ich sie sehe, und versuche andere Menschen über Biodiversität aufzuklären.

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Fachgebiet: Agronomie + Wald