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«Dieser Bildungsweg hat so viele Vorteile»
11.06.2024 Eine Laufbahn auf der Überholspur: Katja Riem hat die Matura gemacht, ist gelernte Winzerin und Landwirtin, Agronomin FH und seit letztem Herbst mit gerade einmal 27 Jahren die jüngste Nationalrätin. Ein Weg, geprägt von Fleiss und Selbstbestimmung.
Zum Zeitpunkt, da dieses Interview geführt wird, befinden sich die Weinreben noch in der Winterstarre. Es ist Januar, frostige Temperaturen überziehen das Aaretal zwischen Bern und Thun mit Blick auf die Berner Alpen. Hier in der kleinen Gemeinde Kiesen befindet sich am Siedlungsrand die Weinkellerei Riem, Daepp & Co. Umgeben von einem Hof mit prächtigem Berner Bauernhaus steht das Schmuckstück, der vor zwei Jahren neu gebaute Wyschopf.
Hier im Weinladen, der auch zu Degustationen einlädt, empfängt uns Katja Riem. Die 27-jährige Winzerin und Agronomin befindet sich mitten in einer steilen Politlaufbahn. Im vergangenen Herbst wurde sie als jüngste Nationalrätin (SVP) gewählt – und löste in dieser Hinsicht FH-SCHWEIZ-Präsident Andri Silberschmidt ab, der zwei Jahre älter ist. Nur zwei Jahre vorher war Riem in den Berner Grossen Rat (Kantonsparlament) nachgerückt. Sie blickt auf hektische und erlebnisreiche Wochen zurück.
Inzwischen ist es etwas ruhiger, vor allem auch im Betrieb. «Im Januar kauft niemand Wein», sagt sie lachend. Die Festtage sind noch nicht lange vorbei, das Portemonnaie etwas schmaler als üblich.
Katja, wie hast du die letzten Monate erlebt?
Bei uns im Kanton Bern begann es bereits im Sommer 2022 mit dem Entscheid, in den Wahlkampf zu steigen. Die Nomination folgte im Herbst. Wir hatten ja die spezielle Ausgangslage, dass in Bern drei SVP-Nationalräte zurücktraten und wir die Chance hatten, einen weiteren Sitz dazuzugewinnen, was schliesslich auch gelang. Somit ging es um vier Sitze, was viel Dynamik brachte. Ab letztem Frühling war sehr viel los, ab Sommer hiess es nur noch Vollgas. Von April bis Oktober hatte ich etwa 120 Anlässe.
Und am Wahltag?
Das war speziell. Ich wusste, es könnte vielleicht reichen, denn wir hatten eine starke Liste. Hier in Kiesen haben wir auf die Resultate gewartet, und als meine Wahl feststand, gab es ein riesiges Fest!
Mit der Wahl änderte sich wohl einiges …
Ja, bis zur Wahl war alles noch berechenbar. Was danach kam, war Neuland. Es war verrückt. In der ersten Woche hatte ich 13 Interview-Termine. Auf einmal stehe ich auf der nationalen Bühne, habe eine ganz andere Aufmerksamkeit, werde beobachtet. Gerade auch weil ich die Jüngste bin, ohne grosse Vorgeschichte in der Politik. Man hat mit sehr vielen Menschen neu zu tun, darunter auch Lobbyisten. Diese muss man erst einmal zuordnen.
Schon bald folgten die ersten Kommissionssitzungen mit der WBK. Plötzlich sitzt man neben diesen prominenten Grössen der Politik. Da geht es für mich im Moment noch darum, möglichst viel zu begreifen, die Abläufe und Spielregeln kennenzulernen. Ich bin aber froh, dass das Polit-Tagesgeschäft bereits läuft, so kann ich mich auf die eigentliche Arbeit konzentrieren statt auf das Drumherum.
Was bleibt aus der turbulenten Anfangszeit am meisten hängen?
Meine Eröffnungsrede, die ich anlässlich der ersten Session als jüngstes Mitglied vor dem Nationalrat und allen sieben Bundesräten halten durfte. Es war eine riesige Ehre – etwas, was man nur einmal im Leben erlebt. Ich war entsprechend nervös.
Du bist gelernte Winzerin und Agronomin FH. Gerät dein Beruf durch deine Politkarriere im Moment etwas in den Hintergrund?
Nein, an erster Stelle steht noch immer klar mein Beruf. Dieser ist aber, genauso wie die Politik, saisonal. Jetzt ist es hier eher ruhig, dafür gibt es viel Arbeit in der Kommission und im kantonalen Parteivorstand. Im Sommer läuft politisch nicht sehr viel, dafür ist auf dem Rebberg viel los.
Was magst du an deinem Beruf?
Es ist ein sehr cooler Beruf und sehr vielseitig. Ich begleite den ganzen Prozess: den Teil in der Natur, wie zu Beginn eine Traube entsteht, den schönen Moment, wenn man lesen kann. Es folgt die kreative Arbeit im Keller, ein Prozess, den man mehr oder weniger steuern kann. Zum Schluss kommt ein wichtiger Teil, den man sonst in der Landwirtschaft weniger kennt: Ich kann selber das Produkt vermarkten und verkaufen, die Etikette und den Preis gestalten. Wir sind direkt am Markt und beim Kunden. Ich mag diese Vielseitigkeit mit allen Facetten. Beim Wein sind auch viele Emotionen dabei, bei mir wie auch beim Kunden.
Während dieses Gesprächs ist Wein allgegenwärtig. Das Interview findet im Untergeschoss des Wyschopfs statt. Oben im Erdgeschoss ist das eigentliche Weingeschäft, während hier unten im stilvollen Showroom Barriques, in denen Rotwein reift, die Wände säumen. Tische und Bänke stehen für Degustationen bereit. Bordeauxweine werden hier ebenfalls präsentiert – «die Leidenschaft meines Vaters», wie Katja mit einem Schmunzeln erklärt. Die Luft im Raum ist kühl. Im Keller gleich nebenan befinden sich die Filteranlage und die Edelstahlbottiche, in denen der Wein im jüngeren Stadium reift. Eine Mitarbeiterin der Weinkellerei geht eiligen Schrittes durch den Raum und holt etwas aus dem Keller.
Hast du ein Team, das deine Abwesenheiten infolge der Politik gut auffangen kann?
Das wird sich nun weisen müssen. Meine Schwester arbeitet erst seit letztem Winter Vollzeit hier. Ich war zudem im Frühling 2023 in einer Teilzeitvertretung beim Schweizer Bauernverband tätig. Insofern sind wir noch in einer Findungsphase. Da kann ich nicht immer mal wieder drei oder vier Wochen fehlen. Ich werde weiterhin bestmöglich zu den Reben schauen. Also zu unseren Reben, die wir selber bewirtschaften. Wir verarbeiten ja viel mehr, als was wir selber anbauen.
Zu deinem Berufsweg: Du hast zuerst das Gymi und die Matura gemacht. War der praktische Berufsweg nicht schon früh vorgezeichnet?
Doch, für mich eigentlich schon. In der achten Klasse ging ich in die Berufsberatung und habe für mich diesen Ausbildungsweg aufgezeichnet. Insofern ginge ich wohl rückblickend nicht nochmals in den Gymer. Für einen praktischen Ausbildungsweg ist es schlicht nicht nötig. Ich war dort auch keine Musterschülerin, habe mich einfach durchgebissen. Sicher habe ich vom Gymer auch profitiert. Doch mir liegt das praktische Arbeiten viel mehr. Wenn ich direkt sehen kann, wie etwas umgesetzt wird, lerne ich leichter.
Ein gutes Beispiel ist es, die Fotosynthese anhand der Blätter der Weinreben zu begreifen. Der praktische Bildungsweg hat allgemein so viele Vorteile: Man hat meist viel früher Kundenkontakt. Geht man an die Fachhochschule, kann man daneben für einen anständigen Lohn arbeiten. Neben dem Unistudium sind es meist nur Praktika. Und es ist auch ein gutes Mittel gegen den Fachkräftemangel, wenn Menschen früher in den Arbeitsmarkt integriert werden. Daher sehe ich keinen Zweck im Weg über Gymer und Unistudium, wenn dieser für den Wunschberuf nicht unbedingt nötig ist.
Katja Riem: erst Beruf, dann Politik
Geboren am 26. Dezember 1996, wuchs Katja Riem im Aaretal-Dorf Kiesen nördlich von Thun auf. Nach dem Wirtschaftsgymnasium in Bern hatte sie die «Schnauze voll» von Schule und widmete sich der Berufslehre als Winzerin EFZ, welche sie verkürzt in zwei Jahren abschloss.
Danach nahm sie das Agronomiestudium ins Visier. «Kein Agronomiestudium, ohne jemals eine Kuh zu melken» war jedoch ihr Credo, weshalb sie noch die Lehre als Landwirtin EFZ dazwischenschaltete. Schliesslich schloss sie 2021 den Bachelor in Agrarwissenschaften an der BFH HAFL in Zollikofen ab.
Sie ist heute als Winzerin und Agronomin im familieneigenen Betrieb, der Weinkellerei Riem, Daepp & Co. AG tätig. Zudem bewirtschaftet sie mit ihrer Schwester und zwei Freunden einen Berner Rebberg unter dem Namen «Vignerons de Berne».
Ihre politische Karriere begann 2021 mit dem Einzug in den Berner Grossrat, letzten Herbst wurde sie in den Nationalrat gewählt. Sie ist zudem als WBK-Mitglied auch neu im Beirat von FH SCHWEIZ.
Was hat dir das FH-Studium gegeben?
Die HAFL (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften der BFH) ist einzigartig, nur dort kann man ein FH-Agronomiestudium absolvieren. Man kann sich also sehr gut vernetzen und trifft sehr viele Leute aus unterschiedlichsten Zweigen. Das ist mega cool an dieser FH. Dort studieren Leute aus der Verwaltung, der Wirtschaft, aus allen Bereichen, die mit der Landwirtschaft zusammenhängen. Auch die Dozierenden und Gastreferenten sind sehr interessante und wertvolle Kontakte für mich heute. Dazu ist die Schule zweisprachig, man muss Französisch zumindest gut verstehen. Ein weiterer Pluspunkt.
Wie setzt du das Gelernte im Berufsalltag um?
Im Bereich Pflanzenschutz etwa kann ich fachlich auf einiges zurückgreifen. Zudem habe ich wirtschaftlich für den Betrieb viel mitgenommen, da ich die Vertiefung Management und Leadership gewählt habe.
Und hilft das FH-Studium auch auf der Politebene?
Auf jeden Fall. Einerseits ist da wiederum die Vernetzung, was natürlich auch im politischen Alltag zentral ist. Inhaltlich hatten wir zum Beispiel das Fach Regionalentwicklung, das mir gerade im Berner Kantonalparlament im Bereich Raumplanung half. Allgemein geht es in der Politik überhaupt sehr oft um landwirtschaftliche Themen, da hilft ein Agronomiestudium natürlich.
Was mir aber im politischen Alltag am meisten entgegenkommt, ist, dass ich im Studium gelernt habe, vor Menschen zu sprechen. Wir mussten dort sehr oft präsentieren. Dadurch habe ich inzwischen auch in der Politik keine Hemmungen mehr, hinzustehen und zu reden. Eine Ausnahme war meine Eröffnungsrede vor dem Nationalrat (lacht).
Am Gymer haben sich die politischen Fronten gebildet. So wurde ich geschult, auch wenn ich in der Stadt auf der SVP-Seite öfter alleine dastand.
Als Agronomin und Landwirtschaftsvertreterin: Was ist dir in der Agrarpolitik wichtig?
Mir ist eine Politik wichtig, die den Konsum im Auge behält, und dass wir die gesamte Ernährungskette betrachten. Das wird bisher nicht getan. Man setzt dort an, wo es am einfachsten ist, bevormundet dabei zum Beispiel die Landwirte. Da sehe ich beim Staat zu sehr die Haltung, es besser zu wissen als jene, die das Metier gelernt und studiert haben. Mit der Agrarpolitik 2030 bietet sich nun die Chance, das Thema ganzheitlich anzugehen, zum Beispiel auch die Grossverteiler mit einzubeziehen.
Wie wurdest du politisiert?
Politik hat mich einfach immer interessiert, und ich komme aus einer politischen Familie. Meine Eltern waren zwar nie in einer Partei. Mein Onkel (Bernhard Riem, Mitte) aber ist ebenfalls im Grossrat in Bern. Bei mir kam der Stein ins Rollen, als ich in der Schule einen Vortrag über die SVP halten musste. Dazu bin ich an eine Parteiversammlung gegangen, und so hat es mir den Ärmel reingenommen. Am Gymer haben sich dann die politischen Fronten gebildet, so wurde ich geschult, auch wenn ich in der Stadt auf der SVP-Seite öfter alleine dastand (schmunzelt).
Hast du vor, politische Karriere zu machen? So wie es jetzt läuft, ist vieles möglich.
Für mich wäre ein Vollamt aus heutiger Sicht nie eine Lösung. So wie jetzt gefällt es mir sehr: Ich komme immer wieder raus in den Rebberg, das hat auch eine ausgleichende Funktion. Viele Gedanken habe ich mir aber noch nicht gemacht. Die konzentrieren sich eher darauf, wie es im Betrieb weitergeht – und daneben versuche ich, mich so gut wie möglich in der Politik zu engagieren. Ausserdem gibt es ja auch im Nationalrat viele spannende Ziele zu erreichen, Ämter und Sitze in Kommissionen. Doch auch das ist alles noch Zukunftsmusik.
Zurück zum Weingut: Welche ist die schönste Zeit im Jahr für dich?
Das ist gar nicht so einfach. Im Frühling ist es speziell: Man schneidet die Reben so stark zurück, dass man meint, man habe alles abgehauen. Und doch kommen dann die grünen Knospen wieder. Das ist immer wieder schön zu sehen. Der grosse Höhepunkt bleibt aber wohl die Läset, eine tolle Zeit. Streng, aber schön.
Dieses Interview erschien zuerst im Magazin INLINE (Ausgabe Mai 2024) von FH SCHWEIZ.