Recht und Wirklichkeit in der Sozialhilfe

​Die kantonale Sozialhilfe ist ein wichtiges Element im System der Sozialen Sicherheit, das in seiner Gesamtheit aber noch kaum rechtlich ausgeleuchtet worden ist. Ein gemeinsames Projekt der BFH und der HSLU will diese Lücke schliessen.

Steckbrief

  • Lead-Departement Soziale Arbeit
  • Institut(e) Institut Soziale Sicherheit und Sozialpolitik
  • Förderorganisation SNF
  • Laufzeit (geplant) 01.08.2022 - 31.07.2026
  • Projektverantwortung Prof. Dr. Tobias Fritschi
  • Projektleitung Prof. Dr. Pascal Coullery
  • Projektmitarbeitende Dominik Emanuel Grob
  • Schlüsselwörter Sozialhilferecht, Rechtsmobilisierung, Interkantonaler Vergleich, Existenzsicherung, Föderalismus

Ausgangslage

​Im schweizerischen System der sozialen Sicherheit kommt der Sozialhilfe eine grosse Bedeutung als den Sozialversicherungen nachgelagertes Sicherungsnetz zu, das Personen ohne anderweitige Leistungsansprüche in einer finanziellen Notlage auffängt. Diese Relevanz kontrastiert mit der Tatsache, dass die Sozialhilfe als essentielle Leistung zur Existenzsicherung auf kantonalen Rechtsgrundlagen beruht, die von erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen geprägt sind, welche aus rechtswissenschaftlicher Sicht wenig erforscht werden. Mit Ausnahme von Art. 12 BV, der als leistungsrechtliches Auffanggrundrecht einen Anspruch auf Leistungen vermittelt, die vor einer unwürdigen Bettelexistenz bewahren, sind keine bundesrechtlichen Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Leistungen vorhanden. Zudem wird die Sozialhilfe in äusserst diversen kantonalen Organisationsstrukturen vollzogen. Gleichzeitig stellen Untersuchungen fest, dass der Nichtbezug von Sozialhilfeleistungen ein quantitativ erhebliches Problem darstellt und gesamtschweizerisch betrachtet rund ein Viertel der Personen, die unterhalb der Armutsgrenze leben und Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diesen Anspruch nicht geltend machen.

Vorgehen

​In einem ersten Schritt wird das geltende Sozialhilferecht in einem interkantonalen Vergleich entlang mobilisierungsrelevanter Kriterien untersucht, die sowohl die individuellen Rechte und Pflichten der Personen, die Sozialhilfe beziehen, als auch das Verfahren oder die Organisation der Sozialhilfe erfassen. Daraus entsteht für jeden Kanton ein Netzdiagramm, das anzeigt, wie mobilisierungsfördernd bzw. -hindernd das geltende Sozialhilferecht ist. Ausgehend von diesen Netzdiagrammen wird eine Grobtypologie der Kantone erstellt, die in vertiefenden Fallstudien in 4-8 Kantonen mit einem besonderen Blick auf die Umsetzungspraxis verfeinert wird. Im Vordergrund steht der Umgang mit offenen Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen, die das Sozialhilferecht prägen. Gerade diese können einen erheblichen Einfluss auf die Mobilisierung und damit gleichzeitig auf die generelle Wirksamkeit des Sozialhilferechts ausüben. Befragungen sollen Aufschluss darüber geben, ob die (subjektiven) Gründe für die (Nicht-)Mobilisierung des Sozialhilferechts rechtlichen Regelungen zugeordnet werden können. Im Ergebnis soll eine gesamthafte Beurteilung der Stärken und Schwächen der Systeme erfolgen können, auf deren Grundlage abschliessend Optimierungsvorschläge formuliert werden können, die sich sowohl an die Rechtsetzung als auch an die Rechtsanwendung richten können.