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«Active Sourcing bleibt menschenzentriert»

14.02.2025 Künstliche Intelligenz (KI) entscheidet auch in der Schweiz mit darüber, wer angestellt wird. Wir ordnen diese Entwicklung mit den BFH-Expertinnen Mascha Kurpicz-Briki und Caroline Straub ein.

Das Wichtigste in Kürze

  • KI-Tools in der Personalsuche sind effizient, aber nicht universell einsetzbar. Sie eignen sich vor allem für Büroberufe.
  • Die Nutzung von KI im HR birgt Risiken und kann zu Diskriminierung führen.
  • Die Personalsuche bleibt menschenzentriert, denn: KI unterstützt zwar, aber Entscheide trifft der Mensch.

Inwiefern spielt KI heute im Schweizer Personalwesen eine Rolle?

Straub: Headhunter*innen wie auch HR-Abteilungen setzen häufig im Personalrecruiting auf Active Sourcing um potenzielle Kandidat*innen zu finden. Eine BFH-Studie hat gezeigt: Alle befragten Firmen setzen Active Sourcing Tools ein.

Allerdings werden sie nicht von vielen HR-Fachkräften genutzt. Firmen haben meist eine begrenzte Lizenz für die Tools und längst nicht alle Recruiter*innen wissen, wie sie die neuen KI-Werkzeuge optimal einsetzen können. Viele gehen immer noch klassisch vor, also ganz ohne KI-Unterstützung.

Die Interviewpartnerinnen

Prof. Dr. Caroline Straub lehrt an der BFH Leadership und Human Resource Management (HRM). Sie ist beim Institut New Work angestellt und hat sich unter anderem auf digitales HRM spezialisisert. Sie leitet das Forschungsprojekt «Künstliche Intelligenz im HRM: eine Analyse ihrer Potenziale und Risiken».

Prof. Dr. Mascha Kurpicz-Briki ist Professorin für Data Engineering am Institute for Data Applications and Security IDAS der Berner Fachhochschule, und stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Applied Machine Intelligence. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit dem Thema Fairness und der Digitalisierung von sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie leitet das Forschungsprojekt «Erkennung & Abschwächung von Vorurteilen in auf dem Arbeitsmarkt eingesetzter KI».

Was ist Active Sourcing genau?

Straub: Beim Active Sourcing geht eine Firma online mit einer persönlichen Ansprache auf vielversprechende Arbeitnehmer*innen zu mit dem Ziel, diese für sich zu gewinnen.

Neu kommen dabei vermehrt digitale Matching Tools (also KI-gestützte Algorithmen) zum Einsatz. Diese bestimmen, inwiefern zu besetzende Stellenprofile und potenzielle Kandidat*innen zueinander passen. Eingesetzt werden Matching Tools, weil sie Prozesseffizienz versprechen.

Was ist besonders wichtig beim Active Sourcing?

Straub: Sourcer*innen müssen die richtigen Schlagwörter (z.B. Programmiersprache für IT-Stellen) beherrschen, um gezielte und effiziente Suchen zu machen. Know-how über allgemeine Keywords aber auch über spezielle Ausdrücke in Berufsgruppen ist gefordert.

Je besser man das kann, desto erfolgreicher die Suche. Das wird zunehmend eine wichtige Fähigkeit für HR-Fachkräfte. Schulungen in diesem Bereich werden sicherlich wichtig. Zurzeit erfolgen externe Schulungen mit LinkedIn eher selten. Die meisten Unternehmen bilden ihre Active-Sourcing-Kompetenzen durch Learning by Doing oder auch im Selbststudium mit Hilfe von Videos aus.

Wo liegen denn die Chancen von Active Sourcing Tools für Recruiter*innen?

Straub: Durch Active Sourcing bekommt man recht einfach und schnell eine Übersicht über potenzielle Kandidat*innen, die dann im nächsten Schritt angesprochen werden können. Ausserdem findet man auch passive Kandidat*innen, welche eigentlich gar keinen neuen Job suchen.

In der Regel funktioniert das so, dass Vorgesetzte in erster Linie die Vorgaben für zu besetzende Stellen kommunizieren. Das HR stellt ihnen dann mittels Active Sourcing eine Longlist mit möglichen Kandidat*innen zur Verfügung. Vorschläge werden mit Vorgesetzten evaluiert und erst dann erfolgt eine (nicht automatisierte) Kontaktaufnahme, wodurch Active Sourcing durchaus menschenzentriert bleibt.

Stereotypen der Gesellschaft sind auch in Sprachmodellen vorhanden.

  • Mascha Kurpicz-Briki Stv. Leiterin der Forschungsgruppe Applied Machine Intelligence

Wo liegen die Nachteile von Active Sourcing Tools?

Straub: Aus unseren Interviews mit Active Sourcer*innen geht hervor, dass die Tools nicht für alle Stellen einsetzbar sind, da schlicht nicht alle Berufsgruppen über Kanäle wie LinkedIn erreichbar sind.

Die Tools eignen sich primär für die Stellensuche in den Bereichen IT, Marketing, Business Development, Key Account Management und Engineering. Zur Rekrutierung von Menschen, die nicht in einem Büro arbeiten, sind sie eher weniger geeignet, da sich diese Arbeitskräfte nicht auf LinkedIn registrieren.

Ausserdem werden gefragte Personen oft mit Anfragen überflutet und reagieren entsprechend nicht darauf. Das zwingt Recruiter*innen zum Umdenken: Im Gesundheitswesen werden zum Beispiel eher alternative Kampagnen auf Facebook, Google-Ads, TikTok, bedruckten Lastwagen oder Tischsets in Restaurants eingesetzt, um potenzielle Arbeitskräfte zu erreichen.

Gibt es bei der Nutzung von Active Sourcing Tools auch Risiken, die es zu beachten gilt?

Kurpicz-Briki: KI-Anwendungen können aufgrund unterliegender Auswahlkriterien und Daten ein Bias (also Verzerrungen oder Vorurteile) enthalten. BFH-Forschende konnten zeigen, dass die Stereotypen der Gesellschaft auch in Sprachmodellen vorhanden sind. Solche Modelle sind potenziell auch bei Active Sourcing im Einsatz.

Das bedeutet, dass vereinfachte Filter- und Screening-Methoden dazu führen können, dass geeignete Kandidat*innen übersehen, andere fälschlicherweise zu den kostenintensiveren Selektionsrunden (z.B. Interviews) eingeladen werden. Dies hat Kostenfolgen für rekrutierende Unternehmen und birgt für Bewerbende die Gefahr der Diskriminierung.

Im Horizon Europe Projekt BIAS untersuchen wir unter anderem Vorurteile (oder eben Biases) in Anwendungen zum Recruiting und Personalmanagement.

Kommt es zum Austausch, steht die persönliche Ansprache im Vordergrund.

  • Caroline Straub Dozentin Leadership und Human Resource Management

Was heisst das konkret?

Kurpicz-Briki: Wir testen wissenschaftlich, ob ein Modell gewisse Profile bevor- und andere benachteiligt.

Dabei geht es uns nicht nur um technische Lösungen. Wir versuchen auch, über gezielte Weiterbildungen die involvierten Personen – also z.B. HR-Fachkräfte – für die Vor- und Nachteile der eingesetzten KI-Lösungen zu sensibilisieren.

Geht humanes Recruiting überhaupt, wenn KI-gestützte Tools im Spiel sind?

Straub: Auf jeden Fall. Kommt es zu einem Austausch zwischen Recruiter*in und Kandidat*in, steht nach wie vor die persönliche Ansprache und Wertschätzung im Vordergrund.

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