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Stellensuche mit über Fünfzig: Mit einem Mentoring ans Ziel?
30.01.2025 Für ältere Stellensuchende ist es trotz Fachkräftemangel oft schwierig, einen neuen Job zu finden. Das seit Februar 2023 laufende Mentoringprogramm des Kantons Bern nimmt sich dieser Herausforderung an. Es bringt Stellensuchende mit Personen aus der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung zusammen. Die BFH hat das neue Angebot evaluiert.
Das Wichtigste in Kürze
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Das Mentoringprogramm des Kantons Bern richtet sich an ältere Stellensuchende. Es hilft durch persönliche Beziehungen und gezielte Unterstützung, die Motivation und somit auch die Chancen auf eine neue Stelle zu verbessern.
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Neben der Stellensuche trägt das Programm durch enge und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Mentor*in und Mentee zur mentalen Stabilität und persönlichen Weiterentwicklung bei.
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Obwohl das Matching zwischen Mentor*innen und Mentees überwiegend positiv bewertet wird, wurden Verbesserungsvorschläge gemacht, wie z.B. mehr Einfluss der Mentees auf die Auswahl und Vorinformationen für Mentor*innen.
Die Arbeitswelt hat sich unter der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung stark verändert und Begriffe wie «Arbeit 4.0» oder «New Work» haben sich in den letzten zehn Jahren etabliert (Giesen & Kersten, 2017). In der gleichen Zeit nahm der Fachkräftemangel, mit Ausnahme der Pandemiejahre, stetig zu und erreichte im Jahr 2023 einen neuen Rekordwert (Adecco Group, 2023). Die Gründe dafür sind vielfältig. Erschwerend wirkt, dass Fachkompetenzen allein in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr ausreichen. Immer wichtiger sind digitale Kompetenzen und ausgeprägte Soft Skills wie Sozial- und Selbstkompetenzen (Bennett et al., 2020).
Gut qualifizierte und erfahrene Personen, die meist unverschuldet ihre Stelle verloren haben und auf der Suche nach einem neuen Job sind, könnten dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Insbesondere für ältere Arbeitnehmende ist es nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle jedoch schwierig, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Nicht alle offenen Stellen werden ausgeschrieben. In der Schweiz werden sie in rund zwanzig Prozent der Fälle über das persönliche Netzwerk oder über Social-Media-Plattformen wie LinkedIn vergeben (Buchs & Buchmann, 2018). Ein tragfähiges Netzwerk kann bei der Stellensuche somit sehr wichtig sein.
Hier setzt das Mentoringprogramm des Kantons Bern an. Es wurde vom Amt für Arbeitslosenversicherung (AVA) konzipiert und wird seit 2023 umgesetzt. Das Programm richtet sich an Stellensuchende, die über fünfzig Jahre alt sind und mindestens über einen Lehr- oder Mittelschulabschluss verfügen. Die Teilnahme ist freiwillig und kann nicht verfügt werden. Im Rahmen einer von Februar 2023 bis Ende 2025 durchgeführten Pilotphase werden Erfahrungen mit dem neu lancierten Programm gesammelt. Die BFH hat die ersten eineinhalb Jahre der Pilotphase begleitet und evaluiert.
Evaluationsdesign
Im Rahmen der Evaluation wurden alle wichtigen Stakeholder befragt. Die Mentor*innen und die stellensuchenden Mentees wurden jeweils online einige Tage nach Abschluss ihres Mentorings zu ihren Erfahrungen befragt. Zudem fand mit ausgewählten Teilnehmer*innen und RAV-Berater*innen je ein Workshop statt, und mit der Projektleitung des Mentoringprogramms wurde ein Interview geführt. Bestandteile des Evaluationsdesigns sind weiter eine Wirkungs- und eine Kosten-Nutzen-Analyse. Deren Ergebnisse lagen erst nach Redaktionsschluss vor. Eine umfassende Darstellung der Evaluationsergebnisse findet sich in Neuenschwander et al. (2024).
Die Wirkung auf die Stellenfindung
Im Anschluss an die in der Untersuchungsperiode abgeschlossenen 56 Mentorings kam es in 25 Fällen zu einer Abmeldung vom RAV – das heisst, dass 45 Prozent aller Teilnehmenden, die das Programm beendet haben, danach eine neue Stelle gefunden haben. Welchen Einfluss die Teilnahme am Mentoringprogramm darauf hatte, wird von den Mentees und den Mentor*innen jedoch unterschiedlich beurteilt (vgl. Grafik).
Diese eher ambivalente Einschätzung zeigt sich auch in den durchgeführten Workshops. Dort kommen beide Gruppen zum Schluss, das Mentoringprogramm sei ein Puzzlestein unter vielen, die zu einer neuen Stelle beitragen können. Ob es im Stellenfindungsprozess der wichtigste Puzzlestein ist, lässt sich nicht abschliessend beantworten. Ein Mentor bringt diese Einschätzung folgendermassen auf den Punkt: «Ich habe den Eindruck, dass ich einen Ball gespielt habe. Aber das Tor hat der Mentee geschossen. Ich konnte den Kontakt vermitteln. Aber nachher musste sich der Mentee beim Kontakt präsentieren, vorstellen etc., damit es zum Abschluss kam.»
Das Mentoringprogramm zeigt positive Effekte
Auch wenn unklar ist, inwiefern das neue Mentoringprogramm zum Antritt einer neuen Stelle beiträgt: Die Evaluation zeigt sehr deutlich, dass es seine Wirksamkeit auf verschiedensten Ebenen entfaltet. Allen voran leistet es bei vielen Stellensuchenden einen wichtigen Beitrag für ihre persönliche Entwicklung, ihre Motivation und Zuversicht für die Stellensuche. Wie lassen sich diese positiven Effekte erklären?
Ein wesentlicher Vorteil des Mentoringprogramms besteht darin, dass die Beziehungsqualität zwischen Mentor*in und Mentee besser ist als zwischen den Stellensuchenden und ihren RAV-Berater*innen. Dies lässt sich so erklären: Während eines Mentorings können vertrauensvolle bis freundschaftliche Beziehungen entstehen. Diese bilden ein Fundament, damit im Mentoring auch persönliche, familiäre oder gesundheitliche Schwierigkeiten angesprochen werden. In den Mentorings werden somit Problemlagen bearbeitet, die auf den ersten Blick nicht viel mit der eigentlichen Stellensuche zu tun haben, sich aber durchaus negativ darauf auswirken können. Ein Mentee meinte dazu: «Bei mir lief ganz viel auf der mentalen Ebene ab. Ich war wie in einem Abwärtsstrudel. Meine Mentorin hat mich dort aufgefangen. Ich habe nicht direkt durch sie einen neuen Job gefunden. Aber dieses Auffangen, das mich wieder an meine Stärken, Fähigkeiten und Skills glauben liess, hat enorm viel gebracht.»
Das Mentoringprogramm hat auch im Vergleich zu herkömmlichen arbeitsmarktlichen Massnahmen Vorteile: Es ist freiwillig, und das Matching ist auf die Bedürfnisse aller Beteiligten abgestimmt. In den Befragungen wird zudem die Nähe der Mentor*innen zur Wirtschaft und zum Arbeitsmarkt hervorgehoben. Diese ermöglicht einen Austausch auf Augenhöhe mit Personen, die selbst im Arbeitsmarkt tätig sind.
Ein gutes Matching ist zentral
Bevor das eigentliche Mentoring startet, führt das Mentoring-Team ein telefonisches Startgespräch mit den interessierten Stellensuchenden durch, die ihnen von den RAV-Berater*innen gemeldet werden. In dem Gespräch werden der Programmablauf dargelegt, die Erwartungshaltungen und Eignung der Stellensuchenden geklärt. Danach erfolgt der zentrale Prozessschritt im Mentoringprogramm: das Matching-Gespräch, an dem der*die Stellensuchende, der*die Mentor*in sowie eine Vertretung des Mentoring-Teams teilnehmen.
Die Onlinebefragung zeigt, dass die befragten Mentor*innen und Mentees mit dem Matching-Gespräch grundsätzlich sehr zufrieden waren. Im Workshop mit den Mentor*innen wurden jedoch auch schwierige Gespräche thematisiert. Das Hauptziel des Matching-Gesprächs ist es herauszufinden, ob die Chemie zwischen Mentor*in und Mentee stimmt. Zündet der Funke zwischen den beiden nicht, lohnt sich eine weitere Zusammenarbeit in der Regel nicht. Weil das Matching-Gespräch für den Erfolg des Mentorings so zentral ist, lohnt sich hier ein Blick auf das von den Befragten geäusserte Entwicklungspotenzial.
Literatur
- Adecco Group. (2023). Fachkräftemangel Index Schweiz 2023. Zürich.
- Bennett, Jonathan, Marti, Michael & Neuenschwander, Peter. (2020). Digitalisierung: Tausende SBB-Stellen von Veränderungen betroffen. Die Volkswirtschaft.
- Buchs, Helen & Buchmann, Marlis. (2018). Verdeckter Arbeitsmarkt in der Schweiz ist eher klein. Die Volkswirtschaft.
- Giesen, Richard & Kersten, Jens. (2017). Arbeit 4.0: Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht in der digitalen Welt. München: C.H. Beck.
- Neuenschwander, Peter, Hänggeli, Alissa & Schlittler, Lukas. (2024). Evaluation Projekt Mentoringprogramm Kanton Bern. Bern: Berner Fachhochschule.
Entwicklungspotenzial beim Matching-Prozess
Im Workshop mit den Mentor*innen wurde zum Beispiel vorgeschlagen, dass die Stellensuchenden vor dem eigentlichen Matching-Gespräch die Möglichkeit haben sollten, aus einer Liste potenzieller Mentor*innen eine Vorauswahl zu treffen und mit ihnen ein kurzes Gespräch zu führen. Dabei könnten die Stellensuchenden mehr über deren beruflichen Hintergrund und die Motivation in Erfahrung bringen. Umgekehrt könnten den Mentor*innen bereits im Vorfeld des Matching-Gesprächs die Unterlagen der potenziellen Mentees zur Verfügung gestellt werden. Denn im Workshop gaben die Mentor*innen zu bedenken, dass sie sich ohne Vorinformationen lediglich aufgrund dieses Gesprächs auf einen längeren Begleit- und Unterstützungsprozess einliessen.
Auch im Workshop mit den Mentees wurden Verbesserungsvorschläge diskutiert. Grundsätzlich wünschten sie, bei der Suche nach dem*r passenden Mentor*in stärker miteinbezogen zu werden. Ein Mentee schlug etwa vor, mehrere Matching-Gespräche mit verschiedenen Mentor*innen durchzuführen, damit er besser einschätzen könne, mit wem das Mentoring am erfolgversprechendsten sei.
Inwiefern diese und weitere Verbesserungsmöglichkeiten umgesetzt werden können, hängt nicht zuletzt von den personellen Ressourcen ab, die dem AVA für die Umsetzung des Mentoringprogramms zur Verfügung stehen. Der Entscheid, ob und in welcher Form das Mentoringprogramm des Kantons Bern weitergeführt wird, wird Mitte 2025 erwartet.