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Lücke für psychisch belastete Mütter nach der Geburt schliessen

26.02.2025 Frauen, die nach der Geburt an psychischen Belastungen leiden, finden fast keine Therapieplätze, wohin sie ihr Kind mitnehmen dürfen. Ein Modell für die Behandlung der Frauen zu Hause könnte Abhilfe schaffen.

Das Wichtigste in Kürze

  • 20 Prozent der Mütter zeigen nach der Geburt Anzeichen von psychischer Belastung.
  • In der Schweiz gibt es fast keine Therapieplätze, wohin Mütter ihr Kind mitnehmen können.
  • In einem Forschungsprojekt soll ein Modell für die Behandlung von Frauen mit psychischen Belastungen zu Hause entstehen.

Die Geburt eines Kindes gehört in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu den glücklichsten Momenten im Leben einer Frau. Doch nicht immer kann eine Frau sich am Kind und an ihrer neuen Rolle als Mutter erfreuen.

Bei rund 20 Prozent der Mütter zeigen sich nach der Geburt psychische Belastungen. Sie sind im allgemeinen Sprachgebrauch als Wochenbettdepression bekannt, obwohl darunter auch noch andere Erkrankungen fallen.

Bleiben die Belastungen unbehandelt, kann sich das langfristig negativ auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken. Behandlungsplätze wiederum, an welche die Mutter das Kind mitnehmen kann, sind in der Schweiz Mangelware.

Erschwerte Bedingungen

Hier setzt das Forschungsprojekt zur häuslichen Nachsorge von Frauen an, die im Anschluss an die Geburt mit psychischen Belastungen konfrontiert sind. Es hat zum Ziel, ein Versorgungsmodell zu entwickeln und zu evaluieren, wie die Frauen nach der Entlassung aus dem Spital zu Hause, auf ihre persönliche Situation angepasst, behandelt werden können.

Wir stehen vor einer Versorgungslücke.

  • Eva Cignacco Müller Leiterin Forschungsprojekt

«Wir stehen vor einer Versorgungslücke», hält Eva Cignacco Müller fest. Sie leitet innerhalb der BFH das Forschungsprojekt, an dem mehrere Organisationen mitwirken (siehe Kasten). «Oft ist es Zufall, wenn eine Frau einen Behandlungsplatz erhält, wo sie nicht vom Kind getrennt wird.»

Eva Cignacco Müller weist darauf hin, dass es in der Schweiz gerade mal knapp zwanzig Kliniken gebe, die einige wenige Plätze für Mütter und ihre Neugeborenen anbieten würden. Häufig mit erschwerenden Bedingungen: «Kann eine Mutter wegen der Krankheit nicht selbst für ihr Kind sorgen, kriegt sie den Platz nicht».

Vertrautes Umfeld schafft Sicherheit

Die Forscherin sieht in einem Modell für die Behandlung der Frauen daheim grosses Potenzial. Das vertraute Umfeld schaffe für die Mutter Sicherheit und Stabilität, erklärt Eva Cignacco Müller.

Dies wiederum ermögliche ihr, notwendige Tätigkeiten für den Alltag zu trainieren und die Bindung zum Kind zu stärken. Etwa indem sie von Fachpersonen darin angeleitet werde, auf das Kind und seine Bedürfnisse einzugehen. Als Beispiel nennt Eva Cignacco Müller die profane Aktivität des Wickelns.

Zum Projekt des Swiss Center for Care@home

Das Forschungsprojekt zur häuslichen Behandlung von Frauen mit psychischen Belastungen nach der Geburt ist ein Pilotprojekt des Swiss Centers for Care@home.

Das Center soll neue Ansätze für Behandlungen zu Hause entwickeln, die jenen in einem Spital ebenbürtig sind.

An dem Forschungsprojekt beteiligt sind neben der BFH die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), die Frauenklinik des Inselspitals Bern, der Verein Postpartale Depression Schweiz, das Swiss Center for Design and Health sowie das LerNetz.

Die BFH-interne Projektleitung hat Eva Cignacco Müller inne. Sie ist Professorin für Hebammenwissenschaft im Departement Gesundheit.

Der Vorgang könne zu viel mehr dienen, als bloss dem Neugeborenen eine frische Windel anzulegen, betont die Forscherin. «Er bietet die wunderbare Chance, mit dem Sprössling zu kommunizieren.»

Eine psychisch belastete Mutter könne dabei lernen, gezielt Augenkontakt zum Kind zu halten und mit ihm bewusst Laute auszutauschen. Solche urmenschlichen Interaktionen festigten die Verbundenheit zwischen den beiden.

Keine Betreuung rund um die Uhr

Eine Therapie zu Hause sei auch mental eine Erleichterung für die Patientinnen, reduziere sich doch die Gefahr der Stigmatisierung, wenn sie wegen der psychischen Probleme nicht in eine Klinik müssten, erläutert Eva Cignacco Müller.

«Das quälende Gefühl, als Mutter gleich zu Beginn zu versagen, schwächt sich dadurch unter Umständen ab». Nicht zuletzt könnten die Angehörigen die Frau darin unterstützen, in ihrer neuen Rolle Fuss zu fassen.

Frau sitzt in einer Pflegeeinrichtung am Fenster und schaut nach draussen. Neben ihr steht ein Babybett.
Frauen mit Wochenbettdepressionen finden kaum einen Therapieplatz, wo ihr Kind ebenfalls willkommen ist. (Bild: Eva Cignacco, (Hrsg.), Hebammenarbeit, Verlag Hans Huber)

Auf der anderen Seite erwartet Eva Cignacco bei einer Behandlung zu Hause auch Herausforderungen. Im Gegensatz zu einer Klinik stehe den Frauen keine fachliche Betreuung rund um die Uhr zur Verfügung. Was wiederum den Druck auf die Angehörigen und allenfalls auch die Erwartungen an sie erhöhen könne.

Zudem habe eine Patientin zu Hause keine Möglichkeit für eine Gruppentherapie, und auch der Austausch mit anderen betroffenen Frauen sei nicht so leicht möglich. Es gelte deshalb, ein Auge darauf zu haben, dass eine Betreuung zu Hause Patientinnen nicht zusätzlich isoliere, merkt Eva Cignacco Müller an.

Testlauf 2027 geplant

Mit der Studie wollen die Forschenden die Grundlage schaffen für ein integriertes Versorgungsmodell zugunsten von Frauen, die nach der Geburt mit einer diagnostizierten akuten psychischen Belastung nach Hause entlassen werden.

Angedacht ist, dass ein Team mit Fachleuten aus Psychiatrie, Pflege und Geburtshilfe in enger Absprache mit dem Spital die Frau regelmässig aufsucht, ihre Gesundheitssituation einschätzt und nach Bedarf Therapiemassnahmen durchführt.

In einer ersten Teilstudie sammeln die Forschenden Erfahrungen von Fachpersonen, die heute Frauen nach der Geburt zu Hause begleiten. Erste Erkenntnisse zeigen laut Eva Cignacco Müller, dass diese Fachleute regelmässig auf Frauen mit psychischen Problemen nach der Geburt stossen und eine adäquate Versorgung als herausfordernd erleben.

Auswirkungen auf alle

Mit ein Grund dafür sei, dass immer auch an die Sicherheit des Kindes gedacht werden müsse. Eine zweite wichtige Sichtweise ist jene der betroffenen Frauen und ihrer Partner*innen. Diese wollen die Forschenden mit einer zweiten Teilstudie zusammentragen.

Basierend auf den Ergebnissen der beiden Teilstudien planen die Forschenden, das Modell für die Versorgung von Frauen mit psychischen Belastungen nach der Geburt zu erarbeiten und anschliessend einem Testlauf zu unterziehen.

Eva Cignacco Müller ist zuversichtlich, dass ein solcher Versuch im Jahr 2027 stattfinden könnte, sofern es gelingt, die Finanzierung über externe Unterstützung sicherzustellen.

 

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