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Bessere Entscheidungen dank Paradoxen

22.10.2024 María Franco und David Risi, zwei Forschende der Berner Fachhochschule, haben untersucht, wie Unternehmen das Beste aus schwierigen Situationen machen können.

Das Wichtigste in Kürze

  • Paradoxe entstehen aus widersprüchlichen Phänomenen wie Wirtschaftswachstum und Umweltkrise; ihre Lösung ist entscheidend für die Zukunft.
  • Ein «Sowohl-als-auch»-Ansatz kann Unternehmen helfen, wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange zu verbinden.
  • Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit Paradoxen, aber gewisse Mechanismen, die helfen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Paradoxe zu erforschen?

David: Wir leben in einer komplexen Welt, die durch Phänomene gekennzeichnet ist, die zwar miteinander verknüpft sind, sich aber grundsätzlich widersprechen. Nehmen wir als Beispiel das Wirtschaftswachstum mit seinem steigenden Ressourcenverbrauch und die Umweltkrise. Die grosse Herausforderung unserer Zeit besteht darin, den bestmöglichen Weg zur Bewältigung dieser Paradoxe zu finden.
 

María: Durch das Verständnis von Paradoxen können Führungskräfte bessere Entscheidungen treffen. Anstelle eines «Entweder-oder»-Denkens kann ein «Sowohl-als-auch»-Ansatz für Paradoxe neue Möglichkeiten aufzeigen, um die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Angelegenheiten zu nutzen.

Die grosse Herausforderung unserer Zeit besteht darin, den bestmöglichen Weg zur Bewältigung dieser Paradoxe zu finden.

David Risi
David Risi Professor für Responsible Management

Das klingt gut, bleibt aber noch ziemlich abstrakt. Was bedeutet dies konkret?

María: Nehmen wir als Beispiel einen Gussteile-Hersteller. Ein sorgfältig konzipiertes Produkt kann gleichzeitig wirtschaftliche, ökologische und soziale Vorteile bieten – wenn es weniger Energie benötigt, weniger CO2 ausstösst, wenig wiegt und eine gute Ergonomie aufweist, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmenden zu schützen.
 

David: Ein anderes Beispiel wäre ein Rohstofflieferant, der Seltene Erden rezykliert, anstatt sie in Entwicklungsländern abzubauen. Der Bergbau kann die Umwelt schädigen und ist für die Arbeitenden gefährlich. Wird Material rezykliert, bleibt mehr für künftige Generationen übrig. Auch hier gehen ökologische und soziale Belange Hand in Hand. Nicht zuletzt ergibt sich auch ein wirtschaftlicher Nutzen aus dem Reputationsgewinn.

Über die Studie

María Franco und David Risi legen in ihrer Studie einen besonderen Schwerpunkt auf die Zusammenhänge zwischen der sozialen Verantwortung der Unternehmen (CSR) und der Kreislaufwirtschaft (CE).

Beide sind relevant für die Stärkung der Nachhaltigkeit auf Organisationsebene und damit für die Förderung einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Wie CSR und CE in Unternehmen umgesetzt werden können, ist jedoch noch weitgehend unerforscht.

Eine sorgfältige Bewertung beider Konzepte anhand qualitativer Fallstudien zeigt auf, wie man CE und CSR gleichzeitig managen kann, d. h. wie man Synergien zwischen CSR und CE nutzt und Hindernisse bei deren Umsetzung überwindet. Dies ist von praktischer Bedeutung, da Unternehmen häufig vor der Herausforderung stehen, CSR und CE gleichzeitig umzusetzen.

Wie finde ich in der Praxis oder für mein Unternehmen den richtigen Umgang mit Paradoxen? Gibt es so etwas wie Faustregeln?

María: Es gibt kein Patentrezept. In unserer Studie haben wir jedoch bestimmte organisatorische Mechanismen ermittelt, die genutzt werden können, um einen Mentalitätswandel in Organisationen herbeizuführen. Dies ist etwa der Fall, wenn der ökonomische Fokus dominiert, oder wenn gesetzliche Vorschriften eingehalten werden müssen oder strategische Vorteile genutzt werden sollen.  

So könnte es beispielsweise helfen, paradoxe Ansprüche besser miteinander zu harmonisieren, wenn man Nachhaltigkeitsinitiativen im Hinblick auf ihren strategischen Nutzen neu betrachtet.

 

David: In einigen Fällen sind die wirtschaftlichen Zwänge oder Vorschriften so stark, dass sie den Schwerpunkt bestimmen. Ein klarer Fokus ist auch dann sinnvoll, wenn ökologische oder soziale Belange Teil des Kerngeschäfts oder der DNA der Organisation sind. 

Abhängig von ihrer Geschichte und ihren Werten könnten Lebensmittelkooperativen beispielsweise entweder ökologische Ziele, wie die Unterstützung lokaler Produzent*innen, oder Ziele der sozialen Gerechtigkeit, wie die Unterstützung von Konsument*innen in einer unsicheren Ernährungslage, in den Vordergrund stellen.

Sozialer oder ökologischer Mehrwert kann die Reputation verbessern und so zu wirtschaftlichem Nutzen führen.

María Franco
María Franco Tenure-Track-Professorin für Kreislaufwirtschaft

Welche weiteren Faktoren gibt es?

María: Andere Unternehmen neigen eher dazu, soziale Themen zuerst anzugehen, wenn diese scheinbar mit weniger Aufwand verbunden sind, wie zum Beispiel eine Sensibilisierungskampagne für die Gleichstellung der Geschlechter. Ökologische Anliegen wie die Abfallreduktion sind dagegen oft schwieriger umzusetzen, aber – und das ist ein Vorteil – leichter zu quantifizieren.

Ein weiterer als strategischer Vorteil wahrgenommener Faktor, der zu einem Wandel hin zu einer synergetischeren Sichtweise beitragen kann, ist die Reputation: Sozialer oder ökologischer Mehrwert kann die Reputation verbessern und so zu wirtschaftlichem Nutzen führen.

Das «Junior Scholars Program» der BFH

Innovationen entstehen oft in der Zusammenarbeit von Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen.

Mit dem Gefäss «Junior Scholars Program: BFH transversal» unterstützt die Berner Fachhochschule BFH neu Nachwuchsforscher*innen, die in den kommenden Jahren an gemeinsamen, departementsübergreifenden Forschungsprojekten arbeiten werden. Dadurch fördert die BFH interdepartementale Laufbahnen und leistet konkrete Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Transformationsprozessen.

Auch die Studie von María Franco und David Risi wurde durch dieses Programm gefördert.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Unternehmen sollen gute Arbeitgeber*innen sein, das Klima schützen und auch noch Geld verdienen. Werden die Erwartungen an Unternehmen immer anspruchsvoller? Wie kann die Forschung helfen?

David: Derzeit stehen wir vor grossen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel. Paradoxe spiegeln die widersprüchlichen Anforderungen des heutigen Geschäftsumfelds wider. Unsere Forschung kann Organisationen und Einzelpersonen helfen, sich in einer komplexen Welt anzupassen und sich erfolgreich den grossen Herausforderungen der Gesellschaft zu stellen.

María Franco und David Risi

María Franco

María Franco ist Tenure-Track-Professorin für Kreislaufwirtschaft am Departement Technik und Informatik TI der Berner Fachhochschule BFH. Sie promovierte 2018 an der Universität Zürich und kam im selben Jahr als Postdoc-Forscherin für das Horizon 2020 Projekt CIRCUSOL der EU zur BFH.

Mithilfe von quantitativen Methoden wie Ökobilanzierung und System Dynamics forscht María auf dem Gebiet der Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft, sowohl in technischen als auch in biologischen Systemen. Sie unterrichtet die Module Machine and Business Ethics, Sustainable Engineering und „Wie sieht unsere Energiezukunft aus?“ an der BFH-TI, sowie Transdisciplinary Research und Circular Supply Chains (Co-Dozentin) im Master in Circular Innovation and Sustainability (MCis).

Seit 2019 ist Maria zudem International Advisor für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen. In dieser Funktion unterstützt sie Austauschstudierende, Incoming und Outgoing, bei allen erforderlichen Schritten (Suche, Bewerbung und Eingewöhnung an der BFH oder im Ausland).

David Risi

David Risi ist Professor für Responsible Management an der Berner Fachhochschule (Wirtschaft) und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er promovierte und habilitierte an der Universität St. Gallen und gewann 2017 den Academy of Management Social Issues in Management Best Dissertation Award.

Davids Arbeiten sind in einflussreichen praxisorientierten (z. B. Harvard Business Review) und führenden akademischen Fachzeitschriften (z. B. Journal of Management Studies) erschienen. Er war Senior Researcher an der University of Oxford und leitet grosse Forschungsprojekte (u. a. mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds). Er unterrichtet an führenden Hochschulen im In- und Ausland und arbeitet eng mit Partnern aus der Industrie zusammen, spricht in Praxisgremien und übernimmt Beratungsmandate.

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