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Hitze, Schmerz und Stress – eine unterschätzte Verbindung im Gehirn
15.04.2025 Chronische Schmerzen und Depressionen sind schwer behandelbare Erkrankungen. Ein Forschungsprojekt des Fachbereichs Physiotherapie untersucht, wie gezielte Hitzeanwendungen nicht nur die Therapien verbessern, sondern auch den Umgang mit klimabedingten Herausforderungen beeinflussen könnten.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Forschungsprojekt untersucht den Einsatz von passiver Ganzkörperhyperthermie bei primär chronischen Schmerzen und Depressionen.
- Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Methode sowohl die Schmerzempfindung als auch die Stimmung der Patient*innen positiv beeinflussen kann.
- Die Forschung bietet Potenzial, die Lebensqualität der Betroffenen zu steigern und den Umgang mit klimabedingten Herausforderungen zu unterstützen.

Depressionen und chronische Schmerzen sind weit verbreitet und oft schwer zu behandeln. Besonders herausfordernd ist die Therapie primär chronischer Schmerzerkrankungen wie Fibromyalgie, die nicht ausschliesslich auf strukturelle, posturale oder biomechanische Ursachen zurückzuführen sind und als eigenständige Erkrankung gelten. Gängige Behandlungsmethoden zeigen häufig nur begrenzte Wirksamkeit. Ein vielversprechender Ansatz ist die passive Ganzkörperhyperthermie – eine therapeutische Hitzeanwendung. Physiotherapeut und Projektleiter Kay Hanusch sammelte bereits während seiner Ausbildung in Deutschland erste Erfahrungen mit dieser Methode bei Rheumapatient*innen. Sie begleitete sein therapeutisches Handeln weiter in mehreren Kliniken: «Viele Patient*innen berichteten nach der Therapie von einer spürbaren Stimmungsaufhellung, was uns zu weiteren Untersuchungen veranlasste», so Hanusch.
«Hyperthermie könnte helfen, die mentale Starre zu durchbrechen – ähnlich wie auch Antidepressiva eingesetzt werden.»
Hitze als physiotherapeutischer Ansatz gegen stressbedingte Erkrankungen
Hyperthermie könnte gezielt zur Behandlung von Depressionen und primär chronischen Schmerzen eingesetzt werden. Hanusch sieht Potenzial, depressive Patient*innen durch Hyperthermie auf eine Psychotherapie vorzubereiten: «Sie könnte helfen, die mentale Starre zu durchbrechen – ähnlich wie auch Antidepressiva eingesetzt werden». In Studien mit depressiven Patient*innen konnte die depressive Symptomatik durch Hyperthermie deutlich reduziert werden (Knobel 2022). «Bemerkenswert war das sehr rasche Ansprechen innerhalb weniger Tage, im Vergleich zu Antidepressiva, die dafür mehrere Wochen benötigen», berichtet Hanusch. Auch Schmerzpatient*innen könnten profitieren, indem die Hyperthermie als Einstieg in eine Bewegungstherapie genutzt wird, da sie die nozizeptiven Signale von Bewegungsschmerzen reduziert.
Passive Ganzkörperhyperthermie: Anwendung und Wirkung
Bei der moderaten passiven Ganzkörperhyperthermie wird die Körperkerntemperatur um etwa 1 °C auf bis zu 38,5 °C erhöht. «Die Patient*innen liegen in einem Hyperthermiezelt, wo Hitzestrahler mit wassergefilterten Infrarot-A-Lampen die Kammer auf etwa 55 °C erwärmen», erklärt Hanusch. Das Schwitzen erhöht die Luftfeuchtigkeit in der Kammer, wodurch die natürliche Kühlung des Körpers eingeschränkt und die Körperkerntemperatur gezielt angehoben wird.
«Wir untersuchen, wie sich das Temperaturempfinden gegenüber Hitze auf Schmerz und Stimmung auswirken – sowohl bei gesunden Menschen als auch bei Patient*innen mit Depressionen oder primär chronischen Schmerzen», erklärt Hanusch. Frühere Beobachtungen an einer gesunden Triathletin zeigten, dass Hitzetraining zu deutlichen Veränderungen der Körperkerntemperatur führen kann. Und in einer Fallstudie im Rahmen einer Master-Thesis an der BFH mit primär chronischen Schmerzpatient*innen wurde beobachtet, dass sich die sensorische und nozizeptive Wahrnehmung thermischer Reize nach einer passiven Ganzkörperhyperthermie verändert.
«Wenn wir verstehen, wie thermische Anpassung im Körper funktioniert, können wir gezielte Empfehlungen geben, um Menschen in Zeiten des Klimawandels besser zu schützen.»
Der Zusammenhang zwischen Körpertemperatur, Depression und primär chronischen Schmerzen
Untersuchungen zur passiven Ganzkörperhyperthermie haben verschiedene Hypothesen über ihre Wirkung hervorgebracht. Eine Hypothese besagt, dass durch die Hitzeanwendung bestimmte Rezeptoren wie Kortisol- oder Serotoninrezeptoren gebildet werden. Eine andere Möglichkeit ist die Stimulierung des Immunsystems, insbesondere durch die Aktivierung von Zytokinen. Das sind Botenstoffe, die Entzündungsprozesse steuern und bei der Schmerz- und Stressverarbeitung eine Rolle zu spielen scheinen. «Zudem gibt es Hinweise, dass die passive Ganzkörperhyperthermie auch die Noziplastizität im Gehirn, also die Ausweitung oder Reduktion von Hirnarealen der Schmerzentstehung, beeinflussen könnte, insbesondere in den überlappenden Hirnzentren, die für die Verarbeitung von Stress, Schmerz und Temperatur zuständig sind», so Hanusch.
Bereits 1997 stellten Forschende fest, dass depressive Patient*innen eine erhöhte zirkadiane Körperkerntemperatur aufwiesen, die sich nach einer Elektrokonvulsionstherapie EKT wieder normalisierte (Szuba et al.). Der Zusammenhang zwischen erhöhter Körperkerntemperatur und primär chronischen Schmerzen wurde erst kürzlich von der Forschungssgruppe um Langhorst et. al. publiziert (2023). Zudem zeigten Menschen, welche in tropischen Klimazonen leben, Anpassungen der Körpertemperatur und eine erhöhte Hitzetoleranz durch eine veränderte Wahrnehmung thermischer Reize (Tochihara et al. 2022). Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen Thermoregulation und psychischen Erkrankungen: Angststörungen gehen oft mit einer schlechteren Anpassung an Kälte einher, während Depressionen mit einer reduzierten Anpassungsfähigkeit an Hitze korrelieren (Fischer 2024).

Temperaturtraining für eine bessere Anpassung an den Klimawandel
Neben der therapeutischen Anwendung könnte eine adaptierte Hyperthermie auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine Rolle spielen. «Wenn wir verstehen, wie thermische Anpassung im Körper funktioniert, können wir gezielte Empfehlungen geben, um Menschen in Zeiten des Klimawandels besser zu schützen», betont Hanusch. Für die Lebensqualität älterer Menschen kann es sinnvoll sein, ihre Hitzetoleranz durch Exposition von Hitze kontrolliert zu verbessern, statt sie in kühlen Räumen zu isolieren.
Thermotherapien haben in der Physiotherapie eine mehr als hundertjährige Geschichte, doch die neuen Erkenntnisse könnten helfen, sie gezielter in die moderne Schmerz- und Depressionsbehandlung zu integrieren. Ansätze wie die passive Ganzkörperhyperthermie könnten den Zugang zu multimodalen Therapien erleichtern und die Lebensqualität von Betroffenen nachhaltig verbessern. «Wir stehen erst am Anfang dieser spannenden Forschung, aber die bisherigen Ergebnisse geben Anlass zur Hoffnung», so Hanusch.
Literatur
- Szuba, M. P., Guze, B. H. & Baxter, L. R. Jr. (1997). Electroconvulsive therapy increases circadian amplitude and lowers core body temperature in depressed subjects. Biological Psychiatry, 42(12), 1130–1137.
- Langhorst, J., Koch, A. K., Kehm, C., Öznur, Ö., Engler, H. & Häuser, W. (2023). Mild water-filtered infrared-A whole-body hyperthermia reduces pain in patients with fibromyalgia syndrome—A randomized sham-controlled trial. In: Journal of Clinical Medicine, 12(8), 2945.
- Fischer, S., Naegeli, K., Cardone, D., Filippini, C., Merla, A., Hanusch, K. U. & Ehlert, U. (2024). Emerging effects of temperature on human cognition, affect, and behaviour. In: Biological Psychology, 189, 108791.
- Hanusch, K. U., Janssen, C. H., Billheimer, D., Jenkins, I., Spurgeon, E., Lowry, C. A. & Raison, C. L. (2013). Whole-body hyperthermia for the treatment of major depression: associations with thermoregulatory cooling. In: The American journal of psychiatry, 170(7), 802–804.
- Janssen, C. W., Lowry, C. A., Mehl, M. R., Allen, J. J., Kelly, K. L., Gartner, D. E., Medrano, A., Begay, T. K., Rentscher, K., White, J. J., Fridman, A., Roberts, L. J., Robbins, M. L., Hanusch, K. U., Cole, S. P. & Raison, C. L. (2016). Whole-body hyperthermia for the treatment of major depressive disorder: A randomized clinical trial. In: JAMA Psychiatry, 73(8), 789–795.
- Knobel, A., Hanusch, K., Auen, N., Rübener, F., Fischer, S., Borzim, C., Heinz, A. & Schäfer, M. (2022). Whole-body hyperthermia (WBH) in psychiatry. In: P. Vaupel (Ed.), Water-filtered infrared A (wIRA) irradiation: From research to clinical settings (Chapter 12).
- Tochihara, Y., Wakabayashi, H., Lee, J. Y., Wijayanto, T., Hashiguchi, N., & Saat, M. (2022). How humans adapt to hot climates learned from the recent research on tropical indigenes. In: Journal of physiological anthropology, 41(1), 27.
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