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Ins Vertrauen vernarrte Digitalisierung
09.04.2025 Ist die Aufforderung gerechtfertigt, dem Staat in Sachen Digitalisierung zu vertrauen? Inwiefern ergeben sich daraus Widersprüche? Im Hinblick auf die TRANSFORM 2025 Konferenz sprachen wir mit Adrian Lobsiger, dem eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB).
Das Wichtigste in Kürze
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Im Interview erklärt der EDÖB seine Sicht auf den digitalen Wandel und seine Erfahrungen im Zusammenhang von Verwaltung und Politik.
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Adrian Lobsiger hält an der TRANSFORM 2025 ein Referat mit dem Titel «Ins Vertrauen vernarrte Digitalisierung»
Herr Lobsiger, Sie arbeiten seit 2016 als eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter in der dritten Amtszeit. Worin sehen Sie die besonderen Herausforderungen in Ihrer täglichen Arbeit?
Das Datenschutzrecht des Bundes bezweckt den Schutz des privaten und selbstbestimmten Lebens der Schweizer Bevölkerung. Eine zentrale Herausforderung meiner Aufgabe als Datenschutzbeauftragter liegt in der breiten Spannweite dieses Schutzanspruchs, den die Einwohnenden der Schweiz als Rechtsunterworfene einer datenbearbeitenden Bundesverwaltung, Kundinnen und Kunden von Bundesbetrieben wie der Post, Swisscom oder SBB sowie aller Unternehmen der Privatwirtschaft in Anspruch nehmen.
Die Aufsichtstätigkeit meiner Behörde erstreckt sich von der Begleitung komplexer Digitalisierungsvorhaben zwecks frühzeitiger Senkung datenschutzrelevanter Risiken bis zur Untersuchung bereits realisierter Personendatenbearbeitungen, welche die Datenschutzgesetzgebung verletzt haben könnten. Im letzten Geschäftsjahr hat meine Behörde zudem im Rahmen von 271 Ämterkonsultationen und rund 20 parlamentarischen Anhörungen zu Gesetzes- und Verordnungsentwürfen Stellung genommen.
Tätigkeitsbericht des EDÖB
Der EDÖB erstattet der Bundesversammlung jährlich Bericht über seine Tätigkeit. Er übermittelt seinen Bericht gleichzeitig dem Bundesrat. Der Bericht wird veröffentlicht (Art. 57 DSG).

In Ihrem Referat an der TRANSFORM 2025 werden Sie über die «ins Vertrauen vernarrte Digitalisierung» und über die Begriffe «Vertrauen» und «Vertrauensräume» reden. Können Sie uns dazu schon etwas verraten?
Der Einsatz digitaler Technik zur automatisierten Bearbeitung von Personendaten ist für die Persönlichkeit und Grundrechte der betroffenen Personen mit potentiellen Risiken verbunden. Aufgrund dieser Erkenntnis hat der Gesetzgeber dem neuen Datenschutzgesetz des Bundes den sogenannten «risikobasierten Ansatz» zu Grunde gelegt. Dieser Ansatz verlangt von allen datenbearbeitenden Akteuren, die meiner Aufsicht unterstehen, die datenschutzrelevanten Risiken ihrer Vorhaben frühzeitig zu analysieren, durch geeignete Schutzmassnahmen zu senken und die Ergebnisse dieser Arbeiten zu dokumentieren.
Dieses Dokumentationserfordernis steht für den politischen Willen, die systemischen Risiken digitaler Applikationen offenzulegen. Warum? Tag für Tag werden Verletzungen der Privatsphäre von Millionen durch den Einsatz kalter Maschinenintelligenz publik. Angesichts dieser Realität ist Offenlegung systemischer Risiken vertrauensbildender, als Behördenstrategien zur Schaffung von «Datenräumen und Ökosystemen», die «Vertrauen» verdienen. Penetrante Appelle an unser warmherziges «Vertrauen» in kalte Technologie wecken unser Misstrauen.
Penetrante Appelle an unser warmherziges «Vertrauen» in kalte Technologie wecken unser Misstrauen.
Welches ist die prägendste Erfahrung, die Sie als Datenschutzbeauftragter gemacht haben?
In meine Amtszeit fällt die Schaffung des neuen Datenschutzgesetzes. Die Amtszeit begann für mich mit der Mitwirkung bei den gesetzgebenden Vorarbeiten durch das Bundesamt für Justiz. Nach der Verabschiedung der bundesrätlichen Botschaft folgte die mehrjährige Begleitung der Beratungen in den staatspolitischen Kommissionen beider Räte. Und mit der Einführung von Gesetz und Verordnung bot sich die Gelegenheit, durch Publikation von Leitfäden und Merkblättern sowie der Durchführung erster Verwaltungsverfahren die neue Aufsichtspraxis des EDÖB zu begründen. Die Mitwirkung an diesem fast ein Jahrzehnt dauernden Prozess war und bleibt für mich eine spannende Aufgabe.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit der Politik im Bereich der digitalen Transformation?
Ich erlebe die Zusammenarbeit als bereichernd. Persönlich halte ich denn auch wenig von den Forderungen gewisser Kreise, wonach alle Legislativpolitiker über ein technologisches Minimalwissen verfügen müssten, um im Zeitalter der Digitalisierung politisieren zu dürfen. Solche Haltungen verkennen, dass Politikerinnen und Politiker in erster Linie die Risiken verstehen müssen, denen das Gros der aus technologischen Laien bestehenden Bevölkerung ausgesetzt ist. Generalistinnen und Generalisten sind prädestiniert, gute Gesetzgebung zu machen. Eine solche beschreibt die persönlichkeitsbeeinträchtigenden Auswirkungen von Datenbearbeitungen, gegen die es die Bevölkerung zu schützen gilt. Die einem kurzlebigen Wandel unterworfenen Technologien, welche solche Datenbearbeitungen ermöglichen, sollen im Gesetzestext hingegen nicht konkretisiert werden.
Wie meinen Sie das?
Wenn ein Gremium von Generalisten nicht verstanden hat, was eine digitale Applikation bewirken kann, spricht dies noch nicht für ein Versagen des Gremiums. Hingegen ist darauf zu achten, dass Expertinnen und Experten zugezogen werden, die den Willen und die Fähigkeit mitbringen, sich allgemeinverständlich zu äussern.
Vielen Dank für diese spannenden Einblicke. Nun blicken wir gespannt auf Ihr Referat im Mai!