Mit kardiopulmonaler Physiotherapie den Patient*innen ein neues Reha-Erlebnis bieten

18.12.2023 Im Interview erklären die Fachexpert*innen Hadassa Brito da Silva und Spencer Rezek, was ihnen bei der Ausgestaltung dieser Weiterbildung wichtig ist und warum es sich für Physiotherapeut*innen lohnt, sich für den Fachkurs anzumelden.

Foto aus der Praxis der kardiopulmonalen Physiotherapie

Hadassa Brito da Silva und Spencer Rezek, was ist das Besondere am Fachkurs Kardiopulmonale Rehabilitation?

Hadassa Brito da Silva: Wir verknüpfen neueste Evidenz mit dem bestehenden Wissen der Physiotherapeut*innen, die idealerweise schon über ein Basiswissen und Berufserfahrung in der kardiopulmonalen Rehabilitation verfügen. Dabei geben wir als Dozierende unser Fachwissen weiter, aber der Austausch mit den Teilnehmenden über ihre klinische Erfahrung ist uns ebenso wichtig, damit wir auf ihren Alltag Bezug nehmen können. Wir hinterfragen bestehendes Wissen, schauen die Therapieansätze bzw. langjährige Routinebehandlungen kritisch an und vergleichen sie mit der aktuellen Evidenz. In der kardialen und der pulmonalen Reha gibt es immer wieder neue Erkenntnisse und der Wandel in den Therapieansätzen kann durch diese Weiterbildung besser nachvollzogen werden.

Spencer Rezek: In der pulmonalen Reha ist «personalized», also auf die einzelnen Patient*innen eingehen, ein wichtiges Stichwort und es ist mir wichtig, dies zu vermitteln. Die Basis der Reha ist das Trainieren, doch es gibt gewisse Themen, die in einem individualisierten Behandlungsplan zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Ausserdem sind 1. Herzkrankheit, 2. Schlaganfall und 3. COPD die drei häufigsten Todesursachen. Bei Patient*innen mit COPD gehört eine pulmonale Reha nach jeder akuten Verschlechterung als Grundversorgung dazu. Jedoch nur etwa 10 Prozent der betroffenen Patient*innen erhalten diese, was definitiv zu wenig ist. Im Kardio-Bereich sieht es etwas besser aus, aber es ist offensichtlich, dass es dringend mehr gut ausgebildete Fachleute braucht.

Was sind Ihre persönlichen Ziele als Dozierende des Fachkurses?

Spencer Rezek: Mein persönliches Ziel ist es, dass sich genügend Teilnehmer*innen anmelden, damit wir im April 2024 den Fachkurs starten können (lacht). Und natürlich hoffe ich, dass sich das Fachwissen in diesem Bereich weiterverbreitet. Ich bin in der Kommission für die Akkreditierung der ambulanten Rehabilitation und der aktuelle Wissensstand könnte hier bestimmt noch optimiert werden. Deshalb ist es mir wichtig, den Absolvent*innen weiterzugeben, wie sie sich auch nach dem Fachkurs weiterentwickeln können, sei es durch Fachliteratur, durch das Following von Key Opinion Leadern oder durch die Vernetzung mit uns und den anderen Teilnehmenden. So lernen sie, wie und wo sie bestehendes Fachwissen aufnehmen und ihren Patient*innen vermitteln können.

Hadassa Brito da Silva: Für mich ist der Wissensaustausch sehr wichtig und ich wünsche mir, dass die Teilnehmenden nach dem Kurs einen komplett anderen Blick auf ihren klinischen Alltag haben und ihre Routinen hinterfragen, z. B. «Könnte ich das auch anders machen?» oder «Gehe ich genügend auf meine Patient*innen ein?». Zudem ist mir interdisziplinäres Denken, also das Interesse und die Würdigung für die Arbeit der anderen Disziplinen sehr wichtig. Therapien können durch das Hand-in-Hand-Arbeiten effizienter gestaltet werden. Das eigene Rollenverständnis in der therapeutischen Behandlung wird durch das Verständnis für die verschiedenen Schritte in der Diagnostik einer Erkrankung gefestigt. Ein paar Beispiele dazu: Was empfiehlt die Kardiopsychologin? Wann kommt die Ernährungsberaterin ins Spiel? Wann soll das Training aufgrund meiner Rückfragen zu den Untersuchungen bei den Patient*innen gesteigert oder angepasst werden?

Für mich ist der Wissensaustausch sehr wichtig und ich wünsche mir, dass die Teilnehmenden nach dem Kurs einen komplett anderen Blick auf ihren klinischen Alltag haben und ihre Routinen hinterfragen.

  • Hadassa Brito da Silva MSc, Physiotherapeutin

Was ist der Mehrwert für die Praxis und für die Arbeit mit den Patient*innen?

Hadassa Brito da Silva: Der Mehrwert ist sicher, dass man sich die Fähigkeit aneignet, mit individuellen Zielsetzungen auf die Patient*innen eingehen zu können. Ich kann zehn Patient*innen mit der gleichen Diagnose und mit zehn verschiedenen Zielen haben. Bei einem Herzinfarkt ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, ob es sich um Typ I oder Typ II handelt, denn meine Patienteneduktaion und Ziele sind dabei komplett verschieden. Wir möchten den Teilnehmenden konkrete Werkzeuge für den klinischen Alltag mitgeben, wie z. B. das Motivational Interviewing, so dass sie neben dem Bauchgefühl mit evidenzbasierten Taktiken und Tools vorgehen können. Zudem ermöglicht die Vernetzung mit den Dozierenden und den anderen Teilnehmenden, bei ihnen nachzufragen, wenn Zweifel aufkommen. Durch die Vernetzung eröffnet sich zudem die Option, mitzureden und Fragestellungen oder Bedürfnisse der Physiotherapeut*innen den Opinion Leadern zurückzuspielen.

Spencer Rezek: Für die Arbeit mit den Patient*innen sollte es den Teilnehmenden dank dem angeeigneten Wissen einfacher fallen, ein patientenzentriertes Training zu gestalten. Es geht auch darum, alte Zöpfe abzuschneiden und durch neue Therapiekonzepte zu ersetzen, damit den Patient*innen eine optimale Therapie geboten wird.

 

Es ist auch in der kardiopulmonalen Rehabilitation offensichtlich, dass es dringend mehr gut ausgebildete Fachleute braucht.

  • Spencer Rezek MSc, Physiotherapeut

Der Fachkurs setzt auch darauf, möglichst praxisnah zu üben. Können Sie mir ein Beispiel geben, wie dies umgesetzt wird?

Hadassa Brito da Silva: Praxisnah sind wir im Fachkurs insbesondere dann, wenn die Teilnehmenden in den Hospitationen üben können. Sie dokumentieren ausserdem ein Fallbeispiel aus der Praxis und reflektieren, wie sie das angeeignete Wissen spezifisch auf ihren Fall anwenden könnten.

Spencer Rezek: Die Praxisnähe wird durch den Erfahrungsaustausch über die Umsetzung des Gelernten im eigenen klinischen Alltag sowie durch die «Hospi-Tage» in den ausgewählten Fachinstitutionen gewährleistet. Dabei schauen wir, wie sie das Erlernte und die neuen Inputs umsetzen und geben ihnen unser Feedback dazu. Darüber hinaus liegt der Fokus im Frontalunterricht auf praktischen Übungen in Trainingsräumen, der Analyse von aktuellen Fallbeispielen, der Durchführung von Assessments und der Implementierung von neuen Ansätzen in den klinischen Alltag.        

Wem empfehlen Sie den Fachkurs?

Hadassa Brito da Silva: Ich empfehle den Fachkurs allen Therapeut*innen, die bereits in der kardialen oder pulmonalen Rehabilitation oder in einem Praxissetting arbeiten, ihr Wissen auffrischen sowie neues und aktuelles Wissen gewinnen möchten und dabei ihre Routine durchbrechen und mit anderen Augen sehen möchten. Jede*r kann von dieser Weiterbildung profitieren, egal ob man frisch von der Ausbildung kommt oder schon lange mit Herz- oder Lungenpatient*innen arbeitet. Dabei sind nicht nur Therapeut*innen gemeint, die in einer Reha-Institution tätig sind, sondern auch solche, die in anderen Settings arbeiten, in einer Praxis arbeiten oder ihre Praxis an ein Fitnesscenter angeschlossen haben. Denn oft brauchen die Patient*innen auch nach Abschluss der stationären oder ambulanten Reha weiterhin physiotherapeutische Unterstützung. Das Schöne am Fachkurs ist auch, dass die Teilnehmenden Fachexpert*innen aus ganz Europa und Expert*innen aus anderen Disziplinen hören und kennenlernen werden.

Spencer Rezek: Physiotherapeut*innen, die gezielt auf der Basis der neuesten Evidenz arbeiten möchten und motiviert sind, ihre Routine zu ändern.

Können Sie mir abschliessend die drei wichtigsten Gründe nennen, weshalb man den Fachkurs absolvieren sollte?

Spencer Rezek: Vernetzung ist sehr wichtig, mit den Dozierenden, den Fachexpert*innen, den Key Opinion Leadern und auch den anderen Studierenden. Zudem gewinnt man eine Orientierung über aktuelle Trends und in welche Richtung sich die Rehabilitation weiterentwickelt. Und nicht zuletzt haben wir eine grosse Expertise, die Hadassa von ihrer Arbeit am Unispital Zürich und ich vom Kantonsspital Winterthur mit dem grössten ambulanten Reha-Zentrum der Schweiz mitbringen.

Hadassa Brito da Silva: Erstens, wenn man aktuelle Evidenz effizient und gemeinsam mit Fachpersonen anschauen und sich so auf den neuesten Stand bringen möchte. Zweitens, wenn man seinen Patient*innen durch ein patientenzentriertes Training ein neues Reha-Erlebnis verschaffen möchte und drittens für sich selber, denn eine Weiterbildung mit neuen Inputs kann einen Motivationsschub im klinischen Alltag auslösen. Nicht nur die Leistung an den Patient*innen zählt, sondern auch, dass man die Freude an der Arbeit geniessen kann.

 

Portraitbild der Fachexpert:innen Spencer Rezek und Hadassa Brito da Silva
Spencer Rezek, MSc, Physiotherapeut, Klinischer Spezialist Pulmonal, Kantonsspital Winterthur, Dozent Berner Fachhochschule BFH und Fachhochschule OST und Hadassa Brito da Silva, MSc, Physiotherapeutin, Fachbereichsexpertin Kardiologie, Universitätsspital Zürich, Dozentin Berner Fachhochschule BFH

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